Kommunen unter Druck: Der Graswurzel-Aufstand im Landkreis Kusel

Ein Wahlplakat von Dannecks Wählergruppe.

Ein Wahlplakat von Dannecks Wählergruppe.

Thomas Danneck, Ortsbürgermeister von Rammelsbach.

Thomas Danneck, Ortsbürgermeister von Rammelsbach.

Ein Tropfen zuviel führte zum Graswurzel-Aufstand. Der Besuch zweier Frauen, die nicht mehr ein noch aus wussten, brachte für Orttsbrügermeister Thomas Danneck aus Rammelsbach das
Fass zum Überlaufen.

Ein Vierteljahrhundert gehörte Thomas Danneck, Ortsbürgermeister von Rammelsbach, der SPD an. Anfang 2024 ist er ausgetreten. Den kommunalpolitischen Kampf für die Heimat führt er aber weiter. Dabei weiß er etliche Amtskolleginnen und -kollegen hinter sich.

Thomas Danneck war 36 Jahre lang Berufssoldat, 33 davon in der Ende 2014 geschlossenen Bundeswehr-Kaserne in Kusel. Insofern ist der Westpfälzer Befehl und Gehorsam gewohnt – und auch nicht gerade nahe am Wasser gebaut. Außerdem kann er gut organisieren, ist strukturiert und selten um eine Problemlösung verlegen. All diese Eigenschaften halfen ihm aber nichts, als er vor einigen Monaten Besuch erhielt – in seiner Amtsstube in Rammelsbach, einer 1600-Seelen-Gemeinde im Kreis Kusel. Dort ist Danneck seit zehn Jahren ehrenamtlicher Ortsbürgermeister. An jenem Tag hätten ihn zwei alte Frauen um Rat gebeten. Angesichts von Steuererhöhungen, Energiepreisen, Inflation wüssten sie nicht mehr ein noch aus – könnten die Kosten nicht mehr stemmen, ohne ihr Haus verkaufen und das Dorf verlassen zu müssen. Was sie denn tun könnten, um das abzuwehren?

Darauf keine Antwort zu haben, trieb Danneck dann doch die Tränen in die Augen – vor Mitgefühl, aber auch vor Wut. Der Besuch der alten Damen brachte für ihn das Fass zum Überlaufen, weil er mit seiner Heimat eng verbunden ist und sein kommunalpolitisches Engagement immer im Zeichen der Heimat steht, er etwas bewegen will, wie er sagt. Deshalb machte Danneck im Januar 2024 einen Schritt rückgängig, den er 25 Jahre zuvor gegangen war – er trat aus der SPD aus.

Einen Schlussstrich unter die Kommunalpolitik setzte er damit nicht. Im Gegenteil stieß er eine Art Graswurzel-Aufstand an, der in der Westpfalz um sich greifen dürfte. Denn bei der Kommunalwahl am 9. Juni gibt es nun eine neue Liste. Zum einen für die Kreistagswahl, zum anderen für die Wahl des Verbandsgemeinderats Kusel-Altenglan: jene der „nicht mitgliedschaftlich organisierten Wählergruppe“ Danneck, auf der etliche weitere Kommunalpolitiker stehen, darunter Ortsbürgermeister, Beigeordnete und Ratsmitglieder, alle parteilos – im Gegensatz zu Danneck aber schon vorher. Hinzu kommen Vertreter des öffentlichen Lebens – vom Gewerkschafter über den Bauernverbandsvorsitzenden bis zum früheren Chef der Stadtwerke Kusel. Blaupause war die Liste für den Gemeinderat Rammelsbach, wo laut Danneck schon seit zwei Legislaturen nach diesem Prinzip verfahren wird.

„Strukturschwacher Raum wird vernachlässigt“
Der 64-Jährige kandidiert auch wieder als Ortsbürgermeister. Bei der Direktwahl 2019 hatte er gut 93 Prozent der Stimmen geholt, die Wahlbeteiligung lag bei 68 Prozent.
Für die SPD dürfte Dannecks Austritt einen weiteren Schlag ins Kontor in ihrer einstigen Hochburg Landkreis Kusel bedeuten. Bei der Kreistagswahl 2019 zum Beispiel fuhr
sie einen Verlust von fast 14 Prozentpunkten ein. Als es 2017 um die Nachfolge des langjährigen SPD-Landrats Winfried Hirschberger ging, siegte – durchaus überraschend – CDU-Kandidat Otto Rubly.

Mit Rubly fühlt sich Thomas Danneck, der zudem im Kreistag sitzt und Beigeordneter der Verbandsgemeinde Kusel-Altenglan ist, im Kampf für die Heimat verbunden. Danneck grollt mit der SPD zum einen wegen bundespolitischer Entscheidungen wie Heizungsgesetz oder Bürgergeld, zum anderen wegen einer Landespolitik, die den ländlichen, oft strukturschwachen Raum zugunsten der Ballungsgebiete vernachlässige. Auf solche für ihn falsche Entscheidungen und Missstände wollte er mit seinem Austritt aufmerksam machen. Damit reiht sich der Rammelsbacher zwar in den Protest ein, den die Ortsbürgermeister und Gemeinderäte von Bosenbach und Oberstaufenbach, beide gleichfalls Gemeinden in der Verbandsgemeinde Kusel-Altenglan, im Dezember 2023 und Februar 2024 mit ihrem Rücktritt deutlich gemacht hatten. Dabei waren sie dem Beispiel von Freisbach im Kreis Germersheim gefolgt, das im August 2023 bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatte. Den Frust kann Danneck gut verstehen: „Wenn man keine Lösungen mehr für die Probleme seiner Bürger hat, dann braucht es auch keinen Ortsbürgermeister oder Rat mehr.“ Aufgeben will er
aber auf keinen Fall.

Viele Kommunen sind pleite
Keine Lösungen mehr zu haben hängt für den Ortschef vor allem damit zusammen, dass viele Kommunen pleite sind. Seit Jahren kritisieren sie, dass Land und Bund ihnen nicht genug Geld geben, gleichzeitig aber immer mehr Aufgaben übertragen. Wenn die Pflichtaufgaben bezahlt sind, bleibt kaum etwas übrig – um die Infrastruktur zu unterhalten, Stichwort Schwimmbäder und Straßen, geschweige denn, sich weiterzuentwickeln, ohne zum Beispiel auf langwierige Förderanträge oder Entwicklungsprogramme angewiesen zu sein. Vielmehr müssen sie, weil in Verschuldung und unausgeglichene Etats gerutscht, die Einnahmen erhöhen und freiwillige Ausgaben drosseln, wieder Stichwort Schwimmbad.

Dort angekommen, sollen sie nun nach jüngster Weisung des Landes die Bürger noch stärker auspressen, wie über die Grundsteuer B für bebaute Grundstücke. Wenn es sein muss, soll deren Hebesatz bis zu 995 Prozent, die sogenannte Erdrosselungsgrenze, betragen. Ansonsten wird ein unausgeglichener Haushalt nicht mehr genehmigt, womit die Gemeinde kaum mehr handlungsunfähig wäre.

Davon sind natürlich alle Kommunen in Rheinland-Pfalz betroffen. Doch machte das Land beim Kreis Kusel einen Rückzieher, vielleicht auch aus Sorge, dass in der besonders strukturschwachen Region noch mehr Ortsbürgermeister und Gemeinderäte hinwerfen, das ehrenamtliche Engagement insgesamt weiter leiden könnte. Oder aber der SPD weitere Mitglieder von der Fahne gehen. Denn die Gemeinden machten über den Landrat Druck, was Innen-Staatssekretärin Simone Schneider (SPD) im März zu einem Besuch in Bosenbach veranlasste. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, hatte sich dafür aber auch der Kuseler SPD-Landtagsabgeordnete Oliver Kusch stark gemacht. In Bosenbach wurde dann über die finanzielle Schieflage vieler Kommunen im Landkreis diskutiert.

Die Sache mit der „Erdrosselungsgrenze“
Später wurde bekannt, dass die „Erdrosselungsgrenze“ für den Kreis Kusel und seine Gemeinden vorerst auf 600 Punkte abgesenkt wird. Ein Erfolg, den Danneck anerkennt, obwohl das Grundproblem damit nicht gelöst sei. Allein um die Pflichtaufgaben ohne Kredite finanzieren zu können, hätte zum Beispiel Rammelsbach einen Hebesatz von 1350 Prozent festlegen müssen. Doch habe das Land den Gemeinden einfach mal die Pistole auf die Brust gesetzt, was eben auch einfacher sei, als selbst Verantwortung zu übernehmen. „Dass andere Kreise jetzt neidisch sind“, wertet Danneck als Chance, besser gesagt: als Anreiz dafür, sich zusammenzutun und gemeinsam zu kämpfen. Und so fordert er den 600-Prozent-Deckel für die ganze Westpfalz.

Folglich setzt er nun vor allem auf kommunale Solidarität statt auf Kontakte nach Berlin und Mainz als Genosse. Er ist davon überzeugt, dass viele SPD-Mitglieder genauso denken. Abwerben will er niemanden: „Entweder jemand kommt aus Überzeugung zu uns oder er lässt es bleiben“. Bestätigt in seiner Einschätzung der Lage sieht er sich aber durch den Zulauf beim Erstellen des Listenvorschlags für den Verbandsgemeinderat: Als über 80 Leute dagewesen seien, „haben wir dichtgemacht“. Wie viel dafür geworben worden sei? „Gar nicht, ich war selbst überrascht.“

Der 64-Jährige hat mit seiner Initiative politisch für Unruhe im Kreis Kusel gesorgt. Er hat vielen Unzufriedenen in der Kommunalpolitik eine Bühne gegeben. Er hat etwas bewegt, bevor er politisch etwas bewegen kann. Jetzt hat er die Kommunalwahl vor der Brust. Beim Kreistag lautet das Ziel drei Sitze, beim Verbandsgemeinderat fünf plus x. Klappt das, könnte der Graswurzel-Aufstand in eine neue Phase gehen.


Quelle: Die Rheinpfalz, 17. Mai 2024, Anke Herbert